Aufgeblickt

Dom, Erfurt

Sant‘ Andrea, Mantua, Architekt: Leon Battista Alberti, 1472 – 1514

Banja-Baschi-Moschee, Sofia, 1566/1567

Cathédrale de la Conversion de Saint-Paul et de l’Assomption de Marie, Lüttich, 1240 – 15. Jahrhundert

Philharmonie Luxemburg, Architekt: Christian de Portzamparc, 2015

Ernesto Neto: Haux, Haux, Arp Museum Rolandseck, Remagen, Architekt: Richard Meier, 2004 – 2007

Aufgeblickt.

Christian Wendlings Fotoserie AUFGEBLICKT sind Langzeitbelichtungen. Motiv ist der Blick in einen hohen Raum. Die Fotos entstehen ohne Stativ. Die Kamera liegt mitten im Raum direkt auf dem Boden. Passgenau fängt sie ein und hält fest, was über ihr schwebt.

Alexander-Newski-Kathedrale, Sofia, Architekt: Alexander Pomarenzew, 1882 – 1912

Sint Niklaaskerk, Gent, ab 13. Jahrhundert

Andrea Mantegna, Camera delgi Sposi, Palazzo Ducale, Mantua, 1465 – 1474

Francesco Primaticcio: Carro del sole e della luna. Palazzo del Te, Mantua, 1527 – 1528

San Pietro da Verona in Sant‘ Anastasia, Verona, 13. – 15. Jahrhundert

Bahnhof Liège-Guillemins, Lüttich, Architekt: Santiago Calatrava 1996 – 2009

Sakrale Räume

Kirchenkuppeln veranlassen uns in sie hinaufzublicken. Jahrhundertelang intendiert, studiert, praktiziert. Demut des Betrachters vor hohen Mächten, wunderbar geborgen bis eingefroren, der Blick gelenkt ins Jenseits. Bis zur Nackenstarre, hinaufschauen, autsch!, egal! Sich kleiner Fühlen, mea maxima culpa, relativiert die eigene Bedeutung. Denn vom Himmel hoch, da kommt es her und zeigt uns Licht, Farbe, Trost und Hoffnung auf ein Leben nach der Mühsal des Alltags. Und von dort wird es kommen, hernieder dafür. Wie uns die Alten sungen. Gott in der Höh’ sei Preis und Ehr. Reich verziert für eine sehn­suchtsvoll erdachte Ewigkeit. Aus der Tiefe AUFGEBLICKT. Schauen wir hinauf und genießen den Reichtum an Bildern, Farben. Assoziationen an geschichtete Geschichten. Kirchen, Moscheen, Vielfalt und Überschneidungen….

Lettische Nationalbibliothek, Riga, Architekt: Gunnar Birkerts, 2015

Zentralmoschee Köln, Bauphase, Architekt: Paul Böhm, 2009 – 2017

Böhm Chapel, Hürth-Kalscheuren, Architekt: Gottfried Böhm, 1954 – 1956

Alexander-Newski-Kathedrale, Sofia, Architekt: Alexander Pomarenzew, 1882 – 1912

Restaurant Interieur No. 253, Bahnhof Rolandseck, Remagen

White Cube

Aber Wendlings AUFGEBLICKT hängt nicht an der Decke, sondern an der Wand. Der Blick des Künstlers und seiner Kamera ging Langzeit nach oben und nun zeigt er ihn uns hängend an der Wand. Keine Nackenstarre mehr. Relativ moderat schauen wir uns die verschiedenen Aufblicke an. Aus der Komfortzone heraus dürfen wir horizontal auf die vertikalen Langzeitbelichtungen der Kamera schauen. Eingefroren noch einmal. Nachdem sie bereits jahrhundertelang eingefroren waren.

Gedreht um 90°, reproduziert auf Aludibond wird der Aufblick ins Diesseits übertragen. Der Welt zugewandt. Ohne den vertrauten Kontext sakraler Atmosphäre hängen sie im White Cube. Befreit, zu betrachten, was ein Einzelner in ihnen sieht.

Christian Wendling erdreistet sich, seinen individuellen Aufblicksausschnitt aus dem Sakralraum in die Welt zu tragen. Darf er das? Was passiert den Kirchenkuppel­ausschnitten durch diese künstlerische Erdreistung? Können Sie bestehen?

Der White Cube tut ihnen nichts. Läßt sie atmen, gibt ihnen die Gelegenheit, mehr zu werden, als religiöse Deko. Als Glaubensillustration. Sie werden zu freien Artefakten. Durch den schöpferischen Akt des Heraus­nehmens, des Fragmentierens neu geboren, können sie im Auge des Betrachters wachsen und gedeihen.

Sveta Sophia, Sofia, 4. Jahrhundert

Stepan Hindliyan Haus, Plovdiv, 1834 – 1835

Markthalle, Gent, Architekten: Robbrecht en Daem Architecten und Marie-José van Hee Architecten, 2012

St. St. Konstantin und Elena, Plovdiv, 1832

Hohe Räume

AUFGEBLICKT hat Wendling nicht nur in Kirchen. Überraschende, irritierende, formale Strukturen, Regelmäßigkeiten, Rhythmen, abstrakte Bilder. Minimalismen. Ausschnitte, die der Künstler beim Aufblicken gesehen, ausgewählt und begrenzt hat und nun als seinen Ausschnitt-Aufblick zeigt. Ah, ein Aufblick? Woher kommt er, aus welchem Kontext geschnitten? Wie geht es weiter? Was macht das Muster und welche Materialität zeigt sich da eigentlich jenseits der Strukturen?

Und dann verliert sich der Gedanke und folgt dem wandernden, spielerischen Blick auf die Rhythmen architektonischer und bildnerischer Linienführung.

Kirche Uspenie Bogorodichno, Batschkowo Kloster, Assenowgrad, 1604

Sveta Bogorodica, Kloster des heiligen Iwan von Rila, Rila. Architekt: Pavel Ivanovitsch, 1834 -1837

Pleven Epopee, Panorama Museum, Plewen, 1977

St. Peter und St. Paul, Weliko Tarnowo, 13. Jahrhundert

Aufgeblickt

AUFGEBLICKT spielt mit Raum und Zeit. Vertrautes wird irritiert durch den Verlust seiner Kontexte. Durch die Ausschnittsauswahl verschwimmen räumliche und zeitliche Verhält­nisse zugunsten subjektiver Perspektiven.

Der Titel ist eine Konjugation des Verbs aufblicken. Welche meint Wendling? Die Perfekt­form „Ich habe aufgeblickt.“? In der Vergangenheit hat er, der Künstler, mal aufgeblickt und den Blick fotografisch festgehalten. Und mit dem Titel will er den Betrachter über sein Vorgehen informieren und animieren, es ihm gleichzutun? „Ich habe aufgeblickt. Blick mit mir auf.“ oder wohl eher „Ich habe aufgeblickt und schau mal, was draus geworden ist!“.

Vielleicht spricht er uns aber auch im Plusquamperfekt an. „Ich hatte aufgeblickt.“ – was impliziert, dass nach dem Aufblicken etwas passierte, was von Bedeutung ist? „Ich hatte zuerst aufgeblickt und dann entstand das Bild.“ Das Bild macht einen Unterschied zum primären Aufblick des Künstlers. Die zeitliche Abfolge betont, dass das Bild erst nach dem Blick entstanden ist und wirft produktions­ästhetische Fragen auf. Das Bild ist Ergebnis aus der Reaktion von Aufblick + künstlerischer Interpretation und Entstehungsprozess = AUFGEBLICKT.

Spitzfindig wird es spätestens nun, wenn wir Konjunktiv II, Präteritum vermuten. Vielleicht will der Fotograf appellieren: Hättest du auch aufgeblickt, hättest du dann dasselbe oder wohl eher etwas anderes gesehen?

Buzludzha Monument, Hoher Balkan, Architekt: Georgi Stoilov, 1974 – 1981

Aufgeblickt.

Fotografie: Christian Wendling
Text: Wiltrud Föcking

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